Frauenpower in Oberfell

Oberfeller Frauen leisten gewaltiges, wachsen über sich hinaus


Ausgangslage:

Oberfell ist bis in die 1960er Jahre ein Weindorf, das eine große Rebfläche von 44 Hektar bewirtschaftete, aber keine Großbetriebe beherbergte. Kein Betrieb hatte mehr als 10.000 Stock.

 

In Parey's großem Weinlexikon von 1930 sind nur drei Gemeinden der unteren Mosel erwähnt: Winningen, Kobern und Oberfell. Mit 44 Hektar liegt Oberfell nur knapp hinter Kobern mit 48 Hektar und in der Anzahl der Winzer ist man mit 135 Kobern (90) sogar überlegen. Es gab in Oberfell keine Haupterwerbswinzer. Die Betriebe wurden im Nebenerwerb geführt.

Oberfell 1920er Jahre
Oberfell in den 1920er Jahren. Ein Teil des riesigen Arbeitsfeldes der Frauen ist gut zu erkennen

Die Feldflur gehörte bis in die 1920er Jahre ganz dem Gemeindeverband und wurde den Bürgern gewöhnlich auf 12 Jahre verpachtet.

Nur wenige hatten neben dem Weinbau noch Landwirtschaft. Wenn, dann waren die Erzeugnisse hauptsächlich Korn, Weizen und Gerste, Hafer wurde fast nicht angebaut.

Wegen Mangel an Wiesen wird Klee in ziemlich großer Menge, hauptsächlich Luzerne gesät. Der größte Teil des Klees wurde als Heu verfüttert. Als Zugtiere benutzte man Ochsen und Kühe. Die Viehzucht war von jeher gering.

 

Ein Dorf, das bedingt durch seine geographische Lage nicht von der Landwirtschaft, sondern vom Handwerk um im Nebenerwerb vom Weinbau lebte.

 

Dies war zwar keine Seltenheit - aber in Oberfell schon!

Eine Eigenart die Oberfell von anderen Dörfern unterschied...


Sobald im Frühjahr der Schnee von den Fluren verschwindet und Bautätigkeit entwickelt wird, ziehen die Männer, jung wie alt, alle landwirtschaftlichen Arbeiten den Frauen und Kindern überlassend, hinaus und suchen sich als Maurer und Pflasterer Beschäftigung.

Erst der folgende Winter führt sie dauernd oder auf längere Zeit in die Heimat zurück. 

Sie erhalten ziemlich hohe Löhne, 5-6 Mark pro Tag, Handlanger 4-5 Mark; und sind nicht die 3 Mark freies Geld zu verzeichnen, so ist der Lohn gering.

Indessen bringen die nicht selten in anderen Provinzen arbeitenden Maurer hohe Ansprüche and das Leben, bezüglich der Nahrungsmittel mit nach Hause und nicht mit Unrecht sagt man auswärts, in keinem Ort wisse man so gut zu leben und in keinem Ort sei der Wirtschaftsbesuch namentlich zur Winterzeit, so rege wie in Oberfell.

 

Schulchronik 1910: Lehrer Ody


Männer:

Wahrscheinlich der geographischen Lage geschuldet, kamen einige Männer auf die Idee, das Steinsetzer-Handwerk, das in der Steillagenbewirtschaftung zum Trockenmauerbau benötigt wurde, weiter auszubauen. So spezialisierten sie sich für das Steinsetzer Handwerk und sehr viele wurden Maurer und Steinsetzer/Pflasterer. Einige Bauunternehmen wurden gegründet. Die Unternehmer sorgten dafür, dass diese Arbeiten in ganz Deutschland angeboten wurden. Ein Handwerkerdorf entstand.

Hindenburgdamm
Oberfeller Männer beim Bau des Hindenburg Dammes, Sylt

Ihre Arbeit wurde sehr begehrt. Sie wurden an die Brennpunkte wie z.B. Ufersicherungen an Nord- und Ostsee, Talsperren-Bau im Saarland usw. gerufen.

Ihre Handwerkskunst führte soe so beispielsweise an den Bau des Hindenburg-Damms nach Sylt, nach Borkum und andere Nordseeinseln, aber auch in fast alle Provinzen Deutschlands.

Dank der guten Löhne der  Männer, wurde der Lebensstandard in den Familien merklich verbessert, doch meistens profitierten die Männer davon. Waren sie in der Winterzeit zuhause, nahmen sie sich ihre Auszeiten durch einen fast täglichen Feierabendbesuch der Gastwirtschaften.

Die Frauen, Kinder und Jugendlichen mussten dann auch weiterhind die vielfältigen Arbeiten zu Hause übernehmen.

 

Die berufliche Tätigkeit und das Zusammentreffen und Leben mit den Menschen aus anderen Provinzen hatte aber auch eine positive Nebenwirkung.

Die Oberfeller wurden weltoffener. Die Gemeinde erfuhr dadurch ihre Prägung, ihre Eigenart.


Frauenpower

Die Frauen, allein auf sich gestellt, wurden dadurch selbstsicherer. Sie waren sich ihrer Leistungen bewusst und dies lebten sie vor.

Eine große Durchsetzungskraft, gepaart mit Selbstbewusstsein war das Ergebnis.

Dieses Selbstbewusstsein zeigte sich auch darin, dass sie einfach die Männerarbeit übernahmen.

  • Sie spritzten die Reben
  • Sie brachten den Dünger in die Steillagen
  • Sie übernahmen die Bodenbewirtschaftung und die Schneidearbeiten
Mädchenschule 1920er
Die Mädchen, die maßgeblich für die "Frauenpower" verantwortlich waren. Mädchenschule Oberfell in den 1920er Jahren

Das heißt alle sogenannten Männerarbeiten übernahmen die Frauen.

Und der Lohn war ein ausgezeichnetes Nebeneinkommen, welches sie den Männern gegenüber selbstbewusster machte und zu einer größeren Durchsetzungskraft führte. Wenn auch gegen Ende der Weimarer Republik die neuen Freiräume der Frauen enger, ihre gerade erworbenen Rechte beschnitten wurden, hatte das in Oberfell keine Auswirkungen. Wurden die Frauen während der Wirtschaftskrise aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, betraf das die Oberfeller Frauen nicht.

Oberfeller Frauen
Im sonntäglichen Gewand präsentierten die Frauen selbstsicher und stolz ihr großartiges Werk

Deshalb hatte auch die Mobilmachung der Politik gegen die Frauen mit der sogenannten "Doppelverdienerkampagne" (Frauen, die verheiratet sind und deren Mann arbeitet, sollen auf ihren Beruf verzichten) keine Bedeutung. Sie arbeiteten ja nicht auf einem Arbeitsmarkt.

Ihre Leistung, 44 Hektar Rebfläche fast ausschließlich durch "Frauenhand" zu bewirtschaften, war "Frauenpower pur".

Eine Leistung, die es zu würdigen gilt.

Bis Anfang der 1960er Jahre haben die Weinberge die Basis für ein ausgezeichnetes Nebeneinkommen geboten.

Und das verursacht durch die Frauen, die den Löwenanteil der Arbeit leisteten.

Die damals guten Weinpreise trugen auch dazu bei, dass zahlreiche Häuser neu gebaut wurden und der Großteil der alten Bausubstanz verschwunden ist.


"Alte Kirmes"

Die Gemeindevertreter hatten gemeinsam mit dem Pfarrer das Kirchweihfest (Kirmes) vorverlegt. Die Kirmes sollte normalerweise am 06. Dezember, den Fest des heiligen Nikolaus gefeiert werden. Doch der Tatsache geschuldet, dass die Männer am 3. Sonntag im November nach Hause kamen und in dieser Woche der Feiertag "Buß- und Bettag" war, verlegte man die Kirmes auf dieses Wochenende.

Das hatte zur Folge, dass das Wiedersehn mehrere Tage gefeiert werden konnte.

Anlegestelle in Oberfell
An der Anlegestelle wurde das Wiedersehen der heimkehrenden Männer freudig erwartet

Wenn der Tag nahte herrschte eine große Hektik in der Gemeinde. Überall dort, wo ein Heimkehrer erwartet wurde, wurden die Eingänge geschmückt, Kinder, Ehefrauen und Mütter hatten sich zum Winken mit weißen Bettüchern bewaffnet, um die Heimkehrer, die mit der Eisenbahn auf der anderen Moselseite (Kattenes) ankamen, zu begrüßen. Da OBerfell keine Fähre, sondern nur einen Nachen zur Überfahrt über die Mosel hatte, verging eine längere Zeit, bis alle übergesetzt hatten. Die Wartezeit wurde mit Willkommensgetränken verkürzt. Dann ging es mit großem Hallo nach Hause.

Alte Kirmes
Ausgelassen wurde die Kirmes in drei Festsälen nach der Heimkehr der Männer gefeiert.

Drei Tage hatte man nun Zeit, die Heimkehr zu feiern.

Es begann mit einem feierlichen Dankgottesdienst für gesunde Heimkehr, aber auch für das Wiedersehen mit den Ehefrauen und Kindern. Anschließend wurde in mehreren Sälen die Kirmes ausgiebig gefeiert. Diese Zeit der harten und entbehrungsreichen Männerarbeit und der noch höher einzuschätzenden "Frauenpower", die Oberfell wie kein anderes Ereignis prägte, will der Musikverein "Mosella" Oberfell mit der "Alten Kirmes" in Erinnerung halten.

Er hat die Geschichte aufgearbeitet und der Bürgerschaft zugänglich gemacht.

 

Text: Gottfried Thelen

Bilder: Oberfeller Bürger